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Vier Handlungsoptionen zur Stärkung des akademischen Mittelbaus

Markus Zürcher, SAGW

Der BFI-Bereich ist in den letzten zwei Dekaden stark gewachsen. Doch die Strukturen an den Universitäten haben sich kaum verändert. Die Folge ist eine Prekarität im Mittelbau. 

In den letzten rund 20 Jahren vollzog sich an den Schweizer Universitäten eine Mengenausweitung: Die Zahl der Studentinnen und Studenten verdoppelte sich, es wurde mehr Personal angestellt, die Quantität der Publikationen und Projekte stieg massiv. Dies führte zu Phänomenen wie einer quantitativ ausgerichteten Leistungsindikatorik (Stichwort Impactfactor) und zu einem gegenüber der Grundfinanzierung überdurchschnittlichen Ausbau der Projektfinanzierung.

Gerade der nationale und internationale Projekt-Boom erfordern in hohem Masse befristete Stellen, die in der Regel mit jungen Forscherinnen und Forscher besetzt werden. Mit dem internationalen Wettbewerb um Forschungsprojekte und den rein quantitativen Leistungsmessungen hat sich der Forschungsbetrieb stark transformiert, wohingegen die Strukturen und die Prozesse der Universitäten weitgehend dieselben geblieben sind.

Der internationale Vergleich zeigt: Die Schweiz pflegt eine ausgesprochene Ordinarien-Universität. Die hiesigen Universitäten bieten im Unterschied zu den angelsächsischen, auch in geringerem Mass zu den deutschen und österreichischen Universitäten, nur wenige Personalkategorien und Positionen mit unbefristeten Anstellungen. Die weitaus meisten Anstellungen – rund 80 Prozent – sind befristet.

Dies führt zur gegenwärtig prekären Situation des akademischen Mittelbaus, die von Perspektivlosigkeit und Frustration geprägt ist. Darunter leidet nicht zuletzt die Qualität der Forschung. Am 8. Oktober hat ein Komitee aus Forschenden verschiedener Fachrichtungen bei der Bundesversammlung eine Petition eingereicht, mit der sie konkrete Massnahmen fordert, um die Situation des Mittelbaus in der Schweiz zu verbessern.

Ausgehend von Befunden aus diversen Studien und Berichten (siehe Referenzen), welche die SAGW in den vergangenen Jahren publizierte, lassen sich mit diesem Ziel im Blick vier Handlungsoptionen formulieren:

1. Frühe Selektion anhand von qualitativen Kriterien

Der wohl effektivste Hebel zur Überwindung der Prekarität im Mittelbau ist eine frühe Selektion nach qualitativen Kriterien. Bereits in der Doktoratsphase, spätestens aber nach der Promotion, sollten die Weichen gestellt werden: Der Entscheid für eine Professional Career ausserhalb der Universität sollte ebenso begleitet werden wie die Academic Career. Nicht verhindern lässt sich, dass ein auf Konkurrenz ausgelegtes System auch zahlreiche «Verlierer» produziert. Auch sie sollten aber beim «Ausstieg» unterstützt werden. 

Gemäss den Dora-Prinzipien sollten die Evaluation und die Selektion auf quantitative Leistungsindikatoren (Zahl der Publikationen, Zahl der Projekte, Impact-Faktoren et cetera) verzichten und vielmehr die Qualität des gesamten Forschungsoutputs beurteilen. Bisweilen kann ein einzelner Artikel einen Richtungswechsel einleiten, der einen Fachbereich oder ein Forschungsfeld massgeblich verändert. In der Regel gelingen solche «Würfe» in den jungen Jahren. Neue Erkenntnisse, Interpretationen, Verfahren, Ansätze und die Erschliessung von neuen Feldern sind Voraussetzungen für eine akademische Karriere; wesentlich dabei ist, dass deren Autoren oder Erfinderinnen ihre Forschung eigenständig bearbeiten und weiterentwickeln können. Dieser Prozess sollte in der vierten Dekade des Lebens, bei den 30- bis 40-Jährigen, eingeleitet werden und nicht erst in der fünften. Personen im Alter von 45 Jahren, die befristete Stellen versehen, als «Nachwuchs» zu bezeichnen, ist eine peinliche Infantilisierung und vertuscht das eigentliche Problem: Die grösste Schaffens- und Innovationkraft haben Menschen in der Regel in der Mitte ihres Lebens.1

2. Verteilschlüssel in der Finanzierung durch den Bund anpassen

Ein wirksamer und pragmatischer Hebel, der erst noch kurzfristig umgesetzt werden könnte, sind Änderungen bei den Modalitäten der Finanzierung: Der Bund übernimmt derzeit 20 Prozent der Referenzkosten der Universitäten, wobei 70 Prozent in die Lehre und 30 Prozent in die Forschung fliessen (Abbildung 1). Verteilt werden die Finanzen unter den Universitäten in der Lehre proportional zur Zahl der Studierenden, ausländischen Studierenden und Abschlüssen und in der Forschung proportional zu Projektmitteln von Nationalfonds, der Europäischen Union, Innosuisse und weiteren Dritten. Je mehr Drittmittel in der Forschung akquiriert werden, desto höher fallen also die Mittel des Bundes aus.

Eine Option wäre folglich, den Verteilschlüssel zu ändern, indem der Anteil der Grundbeiträge für die Lehre erhöht und der von den eingeholten Forschungsmitteln abhängige Anteil gesenkt würde. So könnten die Universitäten dem Mittelbau mehr unbefristete und weniger befristete Anstellungen anbieten.

3. Third-Space-Stellen an Universitäten etablieren

Die von der SAGW 2020 publizierte Studie «Next Generation und Third Space: neue Karriereprofile im Wissenschaftssystem» kam zum Schluss, dass in den Geistes- und Sozialwissenschaften knapp drei Viertel (71 Prozent) der vollzeitäquivalenten Stellen, die zur Forschung und Lehre zählen, von wissenschaftlichen MitarbeiterInnen (24 Prozent), Assistenten und Doktorandinnen (34 Prozent) und Personen, die gemäss der Hochschulpersonalstatistik Aufgaben im Third Space1 (13 Prozent) erbringen, besetzt sind.2 Die Vollzeitäquivalente der in Forschung und Lehre tätigen Professorinnen und Professoren machen 17 Prozent aller Anstellungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften aus. Rund 12 Prozent gehören der Kategorie «übrige Dozierende» an. An den Fachhochschulen und den Pädagogischen Hochschulen hat sich der Third Space weitgehend etabliert. An Universitäten wird dieses Konzept hingegen eher skeptisch eingeschätzt. Positionen im Third Space, diesem dritten Raum an Hochschulen für Tätigkeiten irgendwo zwischen Wissenschaft und Verwaltung, werden häufig nicht als gleichwertige akademische Karriereweg angesehen, sondern mit einer verpassten akademischen Karriere assoziiert. Dabei könnte es fruchtbar sein, sie nicht länger als Ausweg – oder gar als «Abstellgleis» – zu denken, sondern als möglichen Weg in die Überlegungen miteinzuschliessen.

4. Akademische Positionen ausdifferenzieren

In Anlehnung vor allem an die angelsächsischen, ansatzweise auch die deutschen und österreichischen Universitäten könnte die Personalstruktur ausdifferenziert werden (Abbildung 2). Eine reelle Alternative zur gegenwärtig vorherrschenden Professur, die Forschung und Lehre in Personalunion vereint, sind Dozenturen mit einem Fokus – je nachdem auf die Lehre oder auf die Forschung. Dies erfordert, dass sich die Institute und Departemente nicht allein über Lehrstühle definieren, sondern sich vermehrt an den Nachfragen, dem Bedarf und den inhaltlichen, methodischen und technischen Entwicklungen im universitären Bereich orientieren. Unverzichtbar sind schliesslich hoch qualifizierte WissenschaftlerInnen, die forschungsrelevante Infrastrukturen (zum Beispiel Datenbanken oder Labore) pflegen und weiterentwickeln sowie Management und Support im Forschungsbereich leisten.

Unter Ausschluss des administrativen und technischen Personals könnten die Universitäten   vier unbefristete Positionen für hochqualifizierte WissenschaftlerInnen anbieten: Die ordentliche Professur (Forschung und Lehre und vollumfängliche wissenschaftliche Fachvertretung), Dozentur mit Fokus auf Lehre, Dozentur mit Fokus auf Forschung und Verantwortliche für Management, Support und Infrastrukturen.

Dieser Text ist eine überarbeitete Version des Inputs «Optionen für einen prekären Mittelbau», eingereicht im Rahmen des Workshops «Devising Specific Proposals to address Inequalities and Precarious Working Conditions in Academia» der Swiss Young Academy, Bern, 24. September 2021. Die am Workshop erarbeiteten Handlungsvorschläge werden am 21. Oktober von VertreterInnen aus dem Hochschulbereich, der Bundesverwaltung, den Gewerkschaften, der Politik und den Akademien auf dem Podium diskutiert

Fussnoten

[1] Eichhorn/Ullrich (2021), S. 7. In Deutschland sind 92 Prozent der an Universitäten Beschäftigten bis zum Alter von 45 Jahren befristet angestellt.

[2] Dem Third Space zugeordnet wurden: Stabstellen für Berufungen, Akkreditierung und Qualitätsentwicklung, Evaluationen, StudienprogrammkoordinatorInnen, Management, GeschäftsführerInnen von Instituten und MitarbeiterInnen von digitalen Forschungsinfrastrukturen.

[3] Schmidlin/Bühlmann/Muharemmi (2020): S. 5.

Referenzen

  • Eichhorn, Kristin und Peter Ullrich (2021): Da lässt sich was machen – Alternativen zur Befristung, in: DUZ. Magazin für Wissenschaft und Gesellschaft 5/2021.
  • Hildbrand, Thomas (2018): Next Generation: Für eine wirksame Nachwuchsförderung. Bericht im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Swiss Academies Reports 13,1). http://doi.org/zenodo.1216424 
  • OECD (2021): Reducing the precarity of academic research careers (OECD Science, Technology and Industry Policy Papers 113), Paris. https://doi.org/10.1787/0f8bd468-en 
  • Schmidlin, Sabina, Eva Bühlmann und Fitore Muharremi (2020): Next Generation und Third Space: neue Karriereprofile im Wissenschaftssystem. Studie im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Swiss Academies Reports 15,3). https://doi.org/10.5281/zenodo.3923494 
  • Schmidlin, Sabina (2018): Finanzierung von Forschung und Innovation durch den Bund ab 2008. Bericht im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Swiss Academies Reports 13,3). http://doi.org/10.5281/zenodo.1475753 
  • Swiss Science and Technology Council (2013): «Economization» of Science. Recommendations and Proceedings of the Seminar Held in Bern (SSTC Report 4).
  • Zürcher, Markus und Marlene Iseli (2018): Zur Diskussion: Qualität vor Quantität (Swiss Academies Communications 13,5). http://doi.org/10.5281/zenodo.1409674 

Zum Autor

Markus Zürcher ist Generalsekretär der SAGW.

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