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Wie lässt sich der akademische Mittelbau stärken?

Heinz Nauer, SAGW

Die Diskussion des Mittelbaus an den Hochschulen wid derzeit intensiv geführt: auf Podien, in Blogs und Zeitungskolumnen und bald wohl auch im nationalen Parlament.

Versteckte Überstunden, strukturelle Arbeitsplatzunsicherheit, ein allzu kompetitives System, das zudem anfällig ist für Machtmissbrauch. Die mitunter prekären Bedingungen, zu denen der akademische Mittelbau an Schweizer Hochschulen arbeitet, sind schon seit Jahren Gegenstand von Diskussionen. Anfang Oktober reichte der akademische Mittelbau nun eine Petition bei der Bundesversammlung ein. Das Kernanliegen: Mehr unbefristete Stellen für promovierte Forscherinnen und Forscher an den Hochschulen. Derzeit stehen rund 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals an Schweizer Hochschulen in einem befristeten Anstellungsverhältnis.

Die Petition wurde von mehr als 8500 Personen unterzeichnet und erhielt insgesamt breiten Support, teilweise auch von der Professorenschaft. «Nous sommes convaincus que les conditions actuelles ne sont soutenables ni pour les enseignant·e·s·chercheur·se·s ni pour les hautes écoles dans leur ensemble», schrieben Professorinnen und Professoren aus 15 Schweizer Hochschulen Ende September in einer Stellungnahme in der Zeitung Le Temps. Die Hochschulbehörden hingegen würden den Status quo mit wenig überzeugenden Argumenten verteidigen, etwa indem sie immer wieder betonten, dass Flexibilität und Wettbewerb die Grundlage seien für Innovation und Exzellenz der wissenschaftlichen Forschung.

Wo liesse sich also ansetzen, um die Situation des Mittelbaus an Schweizer Hochschulen und Universitäten, vom Historiker Caspar Hirschi auch schon als «stockkonservative Innovationsmaschinen» bezeichnet, zu verbessern? Es gibt gerade viele Inputs, Vorschläge und Diskussionsbeiträge, auf Podien, in Blogs und Zeitungskolumnen und bald wohl auch im nationalen Parlament (vgl. Interpellationen 20.3121 und 20.4622).

Grundbeiträge der Hochschulen erhöhen?

Ein erster Vorschlag zielt auf eine Erhöhung der Grundbeiträge des Bundes für die Hochschulen. Die Finanzen werden unter den Hochschulen unter anderem proportional zu den akquirierten Drittmitteln verteilt. Markus Zürcher, Generalsekretär der SAGW, schlägt im Blog-Beitrag «Vier Handlungsoptionen zur Stärkung des akademischen Mittelbaus» auf Basis von mehreren von der SAGW seit 2018 publizierten Berichten vor, den Verteilschlüssel anzupassen: «Eine Option wäre folglich, den Verteilschlüssel zu ändern, indem der Anteil der Grundbeiträge für die Lehre erhöht und der von den eingeholten Forschungsmitteln abhängige Anteil gesenkt würde. So könnten die Universitäten dem Mittelbau mehr unbefristete und weniger befristete Anstellungen anbieten.»

Für Ola Söderström, Professor für Sozial- und Kulturgeographie an der Universität Neuenburg, ist eine Neuverteilung von Bundesmitteln zulasten von Projektmitteln keine nachhaltige Lösung. In einem Blog-Beitrag bei Le Temps schreibt er: Le principal problème c’est que cette solution ne répond qu’aux besoins d’une génération de jeunes chercheuses et chercheurs. Si l’on prélevait, disons, 300 millions au budget annuel du FNS (sur un peu plus d’un milliard actuellement) pour créer des postes stables, environ 3000 postes pourraient être créés dans les Hautes Ecoles. Dans cette hypothèse, soit on en reste là et on ne ‹sauve› qu’une génération de chercheuses et chercheurs de la précarité, bouchant l’accès au système pour les générations suivantes, soit on continue chaque année, ou chaque quatre ans, à créer des postes en vidant les caisses du FNS.» Einen Lösungsansatz sieht er viel eher darin, in Forschungsprojekten mehr Postdocs mit längerer Vertragsdauer und dafür weniger Doktoranden einzustellen.

Alternativen zur akademischen Laufbahn aufzeigen

Ein zweiter Vorschlag zielt auf eine bessere Akzeptanz von unterschiedlichen Karrierewegen. Ich erlebe, dass man dem akademischen Nachwuchs einschärft, ein Übergang zur nicht primär akademischen Welt käme einem Versagen gleich, sagte Cristina Urchueguía, Professorin für Musikwissenschaften in Bern und Vizepräsidentin der SAGW, in einer Podiumsdiskussion der Jungen Akademie Schweiz. Auch innerakademische Positionen im Third Space, diesem dritten Raum an Hochschulen für Tätigkeiten irgendwo zwischen Wissenschaft und Verwaltung, werden häufig nicht als gleichwertige Karriereweg angesehen, sondern mit einer verpassten akademischen Karriere assoziiert, wie der Bericht «Next Generation und Third Space» der SAGW 2020 festhielt. Man müsse aufhören, dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine akademische Laufbahn als einzige berufliche Perspektive anzubieten, sagt auch Ola Söderström – und beispielsweise Mentoratssysteme einführen, die Perspektiven aufzeigen, beraten und begleiten (etwa nach dem Vobild der Graduate Campus in Genf und Lausanne).

Teilweise fehlen die statistischen Grundlagen

Für einen Systemwandel fehlen teilweise die statistischen Grundlagen, hält Cristina Urchueguía fest: «Es gibt akademische Statistiken über alles mögliche, aber diese sind, wie mir scheint, im Wortsinn ‹statisch› und berücksichtigen nicht die Entwicklung. Wieviele festangestellte Akademiker im Mittelbau haben sich weiterqualifiziert? Wieviele Akademiker, die ihre Weiterqualifikation dank befristeter Stellen geleistet haben, haben innerhalb einer bestimmten Frist keine ihrer Qualifikation entsprechende Stelle erhalten? Oder anders gefragt:

Wie beeinflusst das Fehlen von einer Festanstellung beziehungsweise eine Festanstellung die wissenschaftliche Kreativität tatsächlich?

Referenzen

Ein ausführlicher Medienspiegel befindet sich auf der Webseite des Petitionskomitees.