Um dem in der Regel internationalen Tätigkeitsfeld der Forscher·innen gerecht zu werden, heisst der einstige Nachwuchspreis der SAGW neu Early Career Award. Stéphanie Soubrier (Universität Genf), Madeline Woker (Collegium Helveticum / University of Sheffield) und Magdalena Breyer (Universität Basel) überzeugten die Jury in diesem Jahr durch die hohe Qualität ihrer wissenschaftlichen Arbeit.
Erster Preis: Ein Schlaglicht auf die «Boys» an Bord der französischen Dampfschiffe
Sie wurden überwiegend aus den kolonialisierten Bevölkerungsgruppen Frankreichs rekrutiert und leisteten Dienst auf den Schiffen der Messageries Maritimes, der ersten grossen französischen Reederei: die «Boys». Weil sich weder die Wirtschaftsgeschichte noch die Geschichte der Arbeiterbewegung mit ihnen auseinandersetzten, gerieten die Hausangestellten auf den Passagierschiffen der Imperien lange Zeit nicht ins Blickfeld der historischen Forschung. Stéphanie Soubrier schliesst diese Lücke.
Im Zuge der Globalisierung und des damit verbundenen intensiveren Seeverkehrs wurden die Dampfschiffe zum Schauplatz von ausgeprägten Hierarchien zwischen den Passagieren aus den Metropolen und den «Boys» aus Übersee. Das kollektive Porträt, das aus dem preisgekrönten Artikel hervorgeht, stellt das stereotype Bild des verweiblichten und unterwürfigen Arbeiters in Frage. Soubrier zeigt, wie durch die Anstellung sowohl Widerstand als auch Mobilität der «Boys» ermöglicht wurden. Die Bemühungen der Reederei, Einwegreisen zwischen Kolonien und Metropolen sowie Desertion, Schmuggel oder die gewerkschaftliche Organisation zu unterbinden, blieben erfolglos.
Würdigung der Jury
«Der Artikel von Stéphanie Soubrier überzeugt durch den Ansatz einer ‹Globalgeschichte von unten› und die Fokussierung auf einen begrenzten geografischen Ort. Dies ermöglicht es, verschiedene Prozesse rund um die Figur des ‹Boy› zusammenzufassen und die Analyse besonders greifbar zu machen. Die Forscherin erschliesst zudem bisher unbekanntes Archivmaterial.»
Preisträgerin: Stéphanie Soubrier

Stéphanie Soubrier ist Historikerin und Oberassistentin an der Universität Genf. Ihre Promotion in Zeitgeschichte absolvierte sie an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne. 2023 veröffentlichte sie das Buch Races guerrières. Enquête sur une catégorie impériale, 1850-1918, in dem sie die Entstehung einer «kriegerischen Rasse» im französischen Kolonialkontext untersucht. Mit dieser militärethnografischen Kategorie wurden Bevölkerungsgruppen des Kolonialreichs bezeichnet, denen besondere kriegerische Qualitäten zugeschrieben wurden.
Zweiter Preis: Die Entstehung von Steueroasen besser verstehen
Die zweite Preisträgerin, Madeline Woker, geht von einer zunächst simplen Feststellung aus: Die französischen Kolonialgebiete haben sich auf lange Sicht nicht zu Steueroasen entwickelt – im Gegensatz zu den britischen. Woran liegt das? Dieser Frage geht die Historikerin nach, indem sie den Aufstieg und Niedergang von Steueroasen im französischen Kolonialreich zwischen Mitte der 1920er und Ende der 1950er Jahre nachzeichnet.
In der Zwischenkriegszeit vergrösserte sich die Kluft zwischen den Steuersätzen in den Metropolen und jenen in den Kolonien. Zahlreiche Unternehmer und Politiker waren bereit, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die eine niedrigere Besteuerung in den Kolonien begünstigten. Das führte auch in Frankreich dazu, dass Kolonialunternehmen ihren Sitz zunehmend ins Ausland verlegten. Doch anders als im britischen Empire befürchtete Frankreich erhebliche Einnahmeverluste – und träumte gleichzeitig von neuer Grösse und Macht des Landes. Die französischen Behörden waren daher weit weniger geneigt, diese Entwicklung ungehindert zuzulassen. Dabei spielte das französische Finanzministerium eine Schlüsselrolle: Wo immer möglich, widersetzte es sich der Umwandlung der Kolonien in Steueroasen und weigerte sich, die Gesetzgebung in diesem Sinne zu ändern. Madeline Woker unterstreicht somit die Rolle des Staates bei der Schaffung (oder Verhinderung) von Steueroasen.
Würdigung der Jury
«Der Artikel zeichnet sich durch eine bemerkenswert fundierte und quellengestützte Argumentation sowie eine originelle Fragestellung im Bereich der vergleichenden Geschichte aus», würdigt die Jury. «Die Analyse basiert auf soliden Grundlagen und liefert höchst relevante Ergebnisse für aktuelle Debatten.»
Preisträgerin: Madeline Woker

Madeline Woker ist Historikerin mit Schwerpunkt Kolonialisierung, Steuern und Kapitalismus. Derzeit arbeitet sie an einem Buch zur Geschichte der Besteuerung und des Steuerwiderstands in der französischen Kolonialwelt von den 1850er bis zu den 1950er Jahren. Nach ihrem Studium in Frankreich und Grossbritannien wurde sie an der Columbia University promoviert und lehrte anschliessend an den Universitäten Brown, Cambridge und Sheffield. Von 2023 bis 2024 war sie Early Career Fellow am Collegium Helveticum in Zürich.
Dritter Preis: Mehr Stimmen für die Grünen aufgrund der ungleichen Vertretung der Geschlechter
In westeuropäischen Parlamenten stieg der Frauenanteil in den 1980er Jahren zunächst rasch an, von einer Gleichstellung ist man heute jedoch nach wie vor entfernt – der Fortschritt zu einer paritätischen Repräsentation stagniert seit rund dreissig Jahren. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die politische Gesinnung der Bürgerinnen und Bürger?
Magdalena Breyer hat in Deutschland eine Umfrage durchgeführt, aus der sich mehrere Erkenntnisse gewinnen lassen. Erstens, dass Männer durch die bessere Vertretung der Frauen in der Politik zwar implizit einen Statusverlust erleben, dies bei ihnen aber nicht zu einer Gegenreaktion in Form von Ressentiments oder die Wahl der Alternative für Deutschland (AfD) führt. Zweitens, dass Frauen angesichts einer empfundenen Stagnation im Gleichstellungsprozess tendenziell für progressive Parteien, insbesondere die Grünen, stimmen. Sie erhoffen sich dadurch eine bessere Repräsentation in der Politik. Und schliesslich, dass sowohl Männer als auch Frauen die zunehmende Vertretung von Frauen und damit den Fortschritt in Richtung Gleichstellung positiv bewerten. Breyer zeigt, dass progressive Parteien sozial aufsteigende Bevölkerungsgruppen (wie Frauen) mobilisieren können, indem sie bestehende Ungleichheiten thematisieren.
Würdigung der Jury
Die Jury lobt: «Der Artikel besticht durch seine Interdisziplinarität und eine experimentelle Herangehensweise, die methodisch überzeugt. Das spannende Design regt zur Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen an und hat das Potenzial, ähnliche Projekte zu inspirieren. Die gesellschaftliche Relevanz der Gleichstellungsfrage macht den Beitrag besonders wertvoll.»
Preisträgerin: Magdalena Breyer

Die Politikwissenschaftlerin Magdalena Breyer wurde 2023 an der Universität Zürich promoviert. Seither arbeitet sie als Postdoktorandin an der Universität Basel an einem Projekt über die neue politische Rolle der sozialen Klasse in Westeuropa. Sie untersucht, wie ökonomische und kulturelle Veränderungen das individuelle Wahlverhalten sowie die Strategien von Parteien beeinflussen. In ihrer Arbeit interessiert sie sich besonders für den Zusammenhang zwischen Geschlecht und politischem Wahlverhalten.
