SAGW-Nachwuchspreis 2022: Preisträgerinnen und Preisträger

Drei wissenschaftliche Aufsätze haben den Nachwuchspreis der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften gewonnen. Sie befassen sich mit dem Einfluss von Medien auf politische Einstellungen, mit dem Verständnis von Mensch und Umwelt in der Sowjetunion und mit mathematischen Fähigkeiten bei Kleinkindern.

Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) zeichnet jedes Jahr drei herausragende wissenschaftliche Aufsätze mit dem Nachwuchspreis aus. Die Gewinnerinnen und Gewinner erhalten insgesamt 18 000 Franken. Dieses Jahr geht der Nachwuchspreis Gold an die Politologen Florian Foos (London School of Economics, Zeitpunkt der Veröffentlichung) und Daniel Bischof (Universität Zürich). Silber gewinnen der Historiker Felix Frey (Universität Bern) und die Historikerin Anne E. Hasselmann (Historisches Museum Basel), Bronze die Psychologin Thalia Cavadini (Universität Genf).

Nachwuchspreis Gold

Foos, Florian und Daniel Bischof (2021): Tabloid Media Campaigns and Public Opinion: Quasi-Experimental Evidence on Euroscepticism in England, in: American Political Science Review 116,1, S. 19–37. https://doi.org/10.1017/S000305542100085X 

Der Einfluss der Zeitung «The Sun» auf Euroskeptizismus in England

Die populäre britische Boulevardzeitung «The Sun» kritisierte die EU bereits früh und regelmässig massiv. Sie gab gar eine Ja-Empfehlung für das Brexit-Referendum ab. Die Politikwissenschaftler Florian Foos und Daniel Bischof konnten nun nachweisen, dass die jahrelange Medienkampagne den Euroskeptizismus in der Bevölkerung tatsächlich verstärkte. Für ihre Forschung machten sie sich eine aussergewöhnliche Situation zu Nutze: Im nordenglischen Bezirk Merseyside wird die Sun seit 1989 boykottiert, weil sie das damalige Hillsborough-Fussballdesaster mit 97 Todesopfern falsch darstellte. Die Autoren verglichen die politischen Einstellungen in Merseyside mit jenen in anderen nordenglischen Bezirken, wo die Sun weiterhin zirkulierte. Dabei stellten sie fest, dass die Bevölkerung von Merseyside aufgrund des Sun-Boykotts deutlich weniger euroskeptisch ist. Dies äusserte sich sogar in einem tieferen Ja-Anteil bei der Brexit-Abstimmung 2016. Besonders stark ist der Effekt des Sun-Boykotts bei Personen mit tiefem Bildungsniveau sowie bei jenen, die zu Beginn des Boykotts jünger als 17 Jahre waren: Erstere bilden die traditionelle Stammleserschaft der Sun, letztere befanden sich in einem Alter, in dem sich gewöhnlicherweise stabile politische Einstellungen formen.  

Die prämierte Studie reiht sich ein in die Diskussion über die Wirkungskraft von Medien und ihre Bedeutung für Demokratien. Im letzten Jahrzehnt zeigten verschiedene Untersuchungen, dass Medienberichte politische Einstellungen kurzfristig kaum beeinflussen. Daniel Bischof und Florian Foos gelingt es nachzuweisen, dass langfristige Medienkampagnen durchaus eine Wirkung auf die politische Einstellung haben können – besonders bei Themen, zu denen die Meinungen noch nicht gefestigt sind.

Auszug aus der Medienmitteilung der SAGW zum Nachwuchspreis 2022

Preisträger: Florian Foos und Daniel Bischof

Florian Foos

Florian Foos ist seit 2019 Assistenzprofessor für Politisches Verhalten an der London School of Economics und war zuvor Lecturer in Politikwissenschaft am King's College London. Er promovierte 2015 in Soziologie an der Universität Oxford und schloss sein Studium in Oxford (MSc) und am University College London (BSc Hons) ab. Von 2014 bis 2017 war er Oberassistent am Lehrstuhl von Fabrizio Gilardi an der Universität Zürich. Florian Foos forscht zum Einfluss von sozialen Interaktionen auf das politische Verhalten von Wählerinnen und Wählern und beschäftigt sich momentan mit der Frage, wie politische Akteure und Medien die Meinungen und das Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern beeinflussen.

Daniel Bischof

Daniel Bischof ist Ambizione Grant Holder am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich und assoziierter Professor für Politikwissenschaft an der Aarhus Universität (Dänemark). Davor arbeitete er als Oberassistent am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Zürich und war Gastwissenschaftler an der Harvard University. Bis 2016 promovierte Daniel Bischof an der Leicester University in England, schloss davor sein Studium der Politikwissenschaft in Bamberg (Deutschland) ab. Seine Forschung beschäftigt sich mit der Frage, wie sich politische Normen und die öffentliche Meinung im Zeitverlauf verändern und welche Rolle dabei politische Parteien und Sozialisierungsprozesse spielen. 

Nachwuchspreis Silber

Frey, Felix und Anne E. Hasselmann (2021): Stones at War, The Chelyabinsk War Exhibition of 1946 and Soviet Environmental Thought, in: Environmental History 26,3, S. 533–554. https://doi.org/10.1093/envhis/emab021 

Das sowjetische Verständnis von Mensch und Umwelt in der Nachkriegszeit

1946 eröffnete das Regionalmuseum in Tscheljabinsk eine Ausstellung zur Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, dem sogenannten «Great Patriotic War». Dabei standen nicht menschliche Leistungen im Zentrum, sondern die Bodenschätze der südlichen Uralregion: Mineralien und Metalle, so wurde suggeriert, waren als kriegsrelevante Objekte am sowjetischen Sieg beteiligt. Die Ausstellung spannte den Bogen von der prähistorischen Entstehung dieser Bodenschätze über ihr zeitgenössisches Vorkommen in der Region bis zu ihrer Bedeutung für den sowjetischen Sieg. Damit verknüpfte sie einerseits geologische mit historischen Entwicklungen, andererseits die regionale mit der nationalen Ebene.

Felix Frey und Anne Hasselmann zeichnen in ihrer historischen Analyse eindrücklich nach, wie sich die Ausstellung in Tscheljabinsk sowohl in das internationale wie auch ins spezifisch sowjetische Verständnis von Mensch und Umwelt einordnete: Indem sie den Bodenschätzen die Hauptrolle gab, zeigte sie auf, wie Umweltfaktoren menschliches Handeln gleichzeitig ermöglichen und beschränken. Dies entsprach einem damals international verbreiteten Verständnis in den Geowissenschaften. Zugleich betonte die Ausstellung, dass erst der «neue sowjetische Mensch» die Bodenschätze aus ihrem Schlummer geweckt und ihnen einen Nutzen verliehen habe. So schrieb sie dem Menschen die dominierende Rolle im Spiel mit der Natur zu und entsprach dem geforderten patriotischen Narrativ.

Auszug aus der Medienmitteilung der SAGW zum Nachwuchspreis 2022

Preisträger·innen: Felix Frey und Anne E. Hasselmann

Felix Frey

Felix Frey studierte in Zürich und Sarajevo Geschichte und Slavische Literaturwissenschaft. 2017 reichte er an der Professur für Technikgeschichte der ETH Zürich seine Dissertation über sowjetische Energiepolitik in der Arktis ein, die 2019 bei Böhlau veröffentlicht wurde. Im Zuge einer Postdoc-Assistenz an der Universität Bern nahm er ein neues Forschungsprojekt in Angriff, in dem er sich mit Schariagerichten im habsburgischen Bosnien und Herzegowina auseinandersetzt. Derzeit ist Felix Frey als externer Lehrbeauftragter an der Universität Zürich tätig und vermittelt für das Bundesamt für Landestopografie Schweizer Kartengeschichte.

Anne E. Hasselmann

Nach ihrem Studium der Geschichte und Slavischen Literaturwissenschaft an den Universitäten Zürich und Hamburg forschte Anne E. Hasselmann zur musealen Kriegserinnerung in der Sowjetunion an der Universität Basel. In diesem Jahr erschien ihre Monografie «Wie der Krieg ins Museum kam. Akteure der Erinnerung in Moskau, Minsk und Tscheljabinsk, 1941-1956» bei transcript. Im Anschluss an ihre Promotion, koordinierte sie die Forschungsinitiative «URIS» (Ukrainian Resarch in Switzerland). Derzeit arbeitet sie als Assistenzkuratorin im Historischen Museum Basel, wo sie Ausstellungs- und Sammlungsprojekte betreut.

Nachwuchspreis Bronze

Cavadini, Thalia et al. (2021): Emotion knowledge, social behaviour and locomotor activity predict the mathematic performance in 706 preschool children, in: Scientific Reports (Nature Publishing Group), 11,14399. https://doi.org/10.1038/s41598-021-93706-7 

Motorische Fähigkeiten und mathematische Leistung im Vorschulalter

Was müssen Kinder im Vorschulalter lernen, um akademischen Erfolg zu haben? Mit dieser Frage befassen sich die Psychologin Thalia Cavadini und ihre Forschungskollegen im prämierten Artikel. Zusammen mit den Lehrpersonen beurteilten sie die emotionalen, sozialen und motorischen Fähigkeiten sowie die mathematische Leistung von 706 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren. Die Auswertung zeigt: Die mathematische Leistung im Vorschulalter hängt mit allen drei Fähigkeiten zusammen. Sie bedingen sich zudem gegenseitig: Kinder mit besseren motorischen Kompetenzen sind auch besser darin, eigene und fremde Emotionen zu erkennen und zu benennen (sogenanntes Emotionswissen). Kinder mit mehr Emotionswissen verhalten sich wiederum kooperativer.

Der Artikel skizziert drei theoretische Erklärungen für diese Zusammenhänge. Kinder mit guten motorischen Fähigkeiten, so die erste Erklärung, spielen öfter mit anderen Kindern. Dadurch bauen sie Emotionswissen auf. Wenn Kinder Emotionen verstehen und sich kooperativ verhalten, bilden sie wiederum gute Beziehungen mit Lehrern und Mitschülerinnen. Weil Lernen ein sozialer Prozess ist, führt dies zu besseren akademischen Leistungen. Zweitens könnte es sein, dass Emotionswissen und intellektuelle Kompetenzen teilweise überlappen. Ein Beispiel dafür ist das Benennen von Emotionen und von Zahlen. Drittens gibt es wissenschaftliche Hinweise, dass motorische Aktivitäten bei Kleinkindern die Selbstregulation fördern. Dies betrifft insbesondere die Impulskontrolle, die es erlaubt, mit Ablenkungen besser umzugehen.

Auszug aus der Medienmitteilung der SAGW zum Nachwuchspreis 2021

Preisträgerin: Thalia Cavadini

Thalia Cavadini ist Doktorandin der Psychologie am «Laboratoire du développement sensori-moteur, affectif et social» an der Universität Genf. Sie forscht zur typischen und atypischen Entwicklung sozio-emotionaler Kompetenzen. 2019 hat Cavadini ihren Master in Psychologie mit dem Schwerpunkt psycho-edukativer Ansätze bei Handicap an der Universität Genf abgeschlossen (MSc Université de Genève). Im selben Jahr startete sie ihr Doktorat, finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds (Förderprogramm Doc.CH) mit dem Ziel, den Evaluationsprozess von Personen mit Mehrfachhandicap durch ein Eye-Tracking-Instrument zu verbessern. 

Medienmitteilung zum Nachwuchspreis 2022