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SAGW verleiht Nachwuchspreis 2022

Christina Graf
Communiqué de presseMedienmitteilung Gesellschaft – Kultur – Sprache Recht und Politik

Drei wissenschaftliche Aufsätze haben den Nachwuchspreis 2022 der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften gewonnen.

Der Nachwuchspreis Gold geht an die Politologen Florian Foos (London School of Economics, Zeitpunkt der Veröffentlichung) und Daniel Bischof (Universität Zürich). Silber gewinnen der Historiker Felix Frey (Universität Bern) und die Historikerin Anne E. Hasselmann (Historisches Museum Basel), Bronze die Psychologin Thalia Cavadini (Universität Genf).

Ihre Aufsätze untersuchen den Einfluss von Medien auf politische Einstellungen, das Verständnis von Mensch und Umwelt in der Sowjetunion sowie mathematische Fähigkeiten bei Kleinkindern.

Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) zeichnet jedes Jahr drei herausragende wissenschaftliche Aufsätze mit dem Nachwuchspreis aus. Die Gewinnerinnen und Gewinner erhalten insgesamt 18 000 Franken.

Gold: Der Einfluss der Zeitung «The Sun» auf Euroskeptizismus in England

Die populäre britische Boulevardzeitung «The Sun» kritisierte die EU bereits früh und regelmässig massiv. Sie gab gar eine Ja-Empfehlung für das Brexit-Referendum ab. Die Politikwissenschaftler Florian Foos und Daniel Bischof konnten nun nachweisen, dass die jahrelange Medienkampagne den Euroskeptizismus in der Bevölkerung tatsächlich verstärkte. Für ihre Forschung machten sie sich eine aussergewöhnliche Situation zu Nutze: Im nordenglischen Bezirk Merseyside wird die Sun seit 1989 boykottiert, weil sie das damalige Hillsborough-Fussballdesaster mit 97 Todesopfern falsch darstellte.

Die Autoren verglichen die politischen Einstellungen in Merseyside mit jenen in anderen nordenglischen Bezirken, wo die Sun weiterhin zirkulierte. Dabei stellten sie fest, dass die Bevölkerung von Merseyside aufgrund des Sun-Boykotts deutlich weniger euroskeptisch ist. Dies äusserte sich sogar in einem tieferen Ja-Anteil bei der Brexit-Abstimmung 2016. Besonders stark ist der Effekt des Sun-Boykotts bei Personen mit tiefem Bildungsniveau sowie bei jenen, die zu Beginn des Boykotts jünger als 17 Jahre waren: Erstere bilden die traditionelle Stammleserschaft der Sun, letztere befanden sich in einem Alter, in dem sich gewöhnlicherweise stabile politische Einstellungen formen.  

Die prämierte Studie reiht sich ein in die Diskussion über die Wirkungskraft von Medien und ihre Bedeutung für Demokratien. Im letzten Jahrzehnt zeigten verschiedene Untersuchungen, dass Medienberichte politische Einstellungen kurzfristig kaum beeinflussen. Daniel Bischof und Florian Foos gelingt es nachzuweisen, dass langfristige Medienkampagnen durchaus eine Wirkung auf die politische Einstellung haben können – besonders bei Themen, zu denen die Meinungen noch nicht gefestigt sind.

Foos, Florian und Daniel Bischof (2021): Tabloid Media Campaigns and Public Opinion: Quasi-Experimental Evidence on Euroscepticism in England, in: American Political Science Review 116,1, S. 19–37. https://doi.org/10.1017/S000305542100085X 

Silber: Das sowjetische Verständnis von Mensch und Umwelt in der Nachkriegszeit 

1946 eröffnete das Regionalmuseum in Tscheljabinsk eine Ausstellung zur Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, dem sogenannten «Great Patriotic War». Dabei standen nicht etwa menschliche Leistungen im Zentrum, sondern die Bodenschätze der südlichen Uralregion: Mineralien und Metalle, so wurde suggeriert, waren als kriegsrelevante Objekte am sowjetischen Sieg beteiligt. Die Ausstellung spannte den Bogen von der prähistorischen Entstehung dieser Bodenschätze über ihr zeitgenössisches Vorkommen in der Region bis zu ihrer Bedeutung für den sowjetischen Sieg. Damit verknüpfte sie einerseits geologische mit historischen Entwicklungen, andererseits die regionale mit der nationalen Ebene.

Felix Frey und Anne E. Hasselmann zeichnen in ihrer historischen Analyse eindrücklich nach, wie sich die Ausstellung in Tscheljabinsk sowohl in das internationale wie auch ins spezifisch sowjetische Verständnis von Mensch und Umwelt einordnete: Indem sie den Bodenschätzen die Hauptrolle gab, zeigte sie auf, wie Umweltfaktoren menschliches Handeln gleichzeitig ermöglichen und beschränken. Dies entsprach einem damals international verbreiteten Verständnis in den Geowissenschaften. Zugleich betonte die Ausstellung, dass erst der «neue sowjetische Mensch» die Bodenschätze aus ihrem Schlummer geweckt und ihnen einen Nutzen verliehen habe. So schrieb sie dem Menschen die dominierende Rolle im Spiel mit der Natur zu und entsprach dem geforderten patriotischen Narrativ.

Frey, Felix und Anne E. Hasselmann (2021): Stones at War, The Chelyabinsk War Exhibition of 1946 and Soviet Environmental Thought, in: Environmental History 26,3, S. 533–554. https://doi.org/10.1093/envhis/emab021 

Bronze: Motorische Fähigkeiten und mathematische Leistung im Vorschulalter

Was müssen Kinder im Vorschulalter lernen, um akademischen Erfolg zu haben? Mit dieser Frage befassen sich die Psychologin Thalia Cavadini und ihre Forschungskollegen im prämierten Artikel. Zusammen mit den Lehrpersonen beurteilten sie die emotionalen, sozialen und motorischen Fähigkeiten sowie die mathematische Leistung von 706 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren. Die Auswertung zeigt: Die mathematische Leistung im Vorschulalter hängt mit allen drei Fähigkeiten zusammen. Sie bedingen sich zudem gegenseitig: Kinder mit besseren motorischen Kompetenzen sind auch besser darin, eigene und fremde Emotionen zu erkennen und zu benennen (sogenanntes Emotionswissen). Kinder mit mehr Emotionswissen verhalten sich wiederum kooperativer.

Der Artikel skizziert drei theoretische Erklärungen für diese Zusammenhänge. Kinder mit guten motorischen Fähigkeiten, so die erste Erklärung, spielen öfter mit anderen Kindern. Dadurch bauen sie Emotionswissen auf. Wenn Kinder Emotionen verstehen und sich kooperativ verhalten, bilden sie wiederum gute Beziehungen mit Lehrern und Mitschülerinnen. Weil Lernen ein sozialer Prozess ist, führt dies zu besseren akademischen Leistungen. Zweitens könnte es sein, dass Emotionswissen und intellektuelle Kompetenzen teilweise überlappen. Ein Beispiel dafür ist das Benennen von Emotionen und von Zahlen. Drittens gibt es wissenschaftliche Hinweise, dass motorische Aktivitäten bei Kleinkindern die Selbstregulation fördern. Dies betrifft insbesondere die Impulskontrolle, die es erlaubt, mit Ablenkungen besser umzugehen. 

Cavadini, Thalia et al. (2021): Emotion knowledge, social behaviour and locomotor activity predict the mathematic performance in 706 preschool children, in: Scientific Reports (Nature Publishing Group), 11,14399. https://doi.org/10.1038/s41598-021-93706-7 

100 Kandidaturen aus über 20 Disziplinen

100 Aufsätze aus über 20 wissenschaftlichen Disziplinen standen im Rennen um den Nachwuchspreis 2022. Rund ein Viertel davon ist interdisziplinär – bei der Forschung kamen Methoden aus verschiedenen Disziplinen zum Einsatz. Ansonsten ist die Politikwissenschaft mit 13 Gesuchen am stärksten vertreten, gefolgt von der Geschichtswissenschaft (12).

Die Kandidierenden vertreten rund 19 Schweizer Hochschulen. Männliche und weibliche Kandidaturen hielten sich in etwa die Waage. Rund zwei Drittel der eingereichten Texte sind auf Englisch verfasst (68 %), das andere Drittel auf Französisch (17 %), Deutsch (13 %) und Italienisch (2 %). Die zehnköpfige Jury wählte die Preisträgerinnen und Preisträgerin in einem dreistufigen Evaluationsverfahren aus.

Der 1996 ins Leben gerufene Nachwuchspreis wird jährlich vergeben, seit 2019 in dreigeteilter Form. Er richtet sich an Forscherinnen und Forscher im Alter bis 38 Jahre und ist mit insgesamt 18 000 Franken dotiert. Die Preisverleihung fand am 21. Mai im Rahmen der Jahresversammlung der SAGW in Chur statt.

Für weitere / hochauflösende Bilder wenden Sie sich an die Kontaktadresse.

Kontakt für Rückfragen

Heinz Nauer
Co-Verantwortlicher Wissenschaftskommunikation der SAGW
Tel. 031 306 92 50/55
heinz.nauer@sagw.ch